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Thema Kirchenaustritte: Pastoralreferentin Susanne Tepel im Gespräch mit Dagmar Stepper von der Südwestpresse

SWP*: Die Zahl der Kirchenaustritte in der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat sich im Vergleich zum Vorjahr um 41 Prozent erhöht: Auf der Skala von 0 bis 10 (ganz schlimm) befinden wir uns gerade?

ST: Es ist schlimm, aber kein Grund in Panik oder in pastoralen Aktionismus zu verfallen. Es ist auch keine “Überraschung”, sondern die logische Konsequenz einer Entwicklung in Kirche und Gesellschaft, die sich bereits seit Jahrzehnten vollzieht.

 

Seit Jahren setzt sich der Trend fort: Können Sie noch ruhig schlafen?

Ja :-) Die Unzufriedenheit, der Missmut, die Nicht-Identifikation mit der kath. Kirche ist ja nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Inzwischen ist es gesellschaftsfähig geworden, “dass man aus der Kirche austritt”. Die vielbeschworene “Weitergabe des Glaubens / der Tradition” ist schon seit mehreren Generationen abgebrochen. Beispiel: Erstkommunion ist häufig ein Ort der “Erstverkündigung”.

Außerdem lässt Gott sich nicht “weitergeben”. Gott lässt sich nicht planen oder verordnen, sondern Glauben ist ein Prozess des Suchens, Findens und Gefunden-Werdens.

 

Wie sind die Zahlen in der Seelsorgeeinheit Horb? Wie viele Kirchenmitglieder sind hier gemeldet und wie viele Austritte gab es im Vergleich zum Vorjahr?

Aktuell sind in der Seelsorgeeinheit Horb 6400 Mitglieder. In 2022 sind 89 Personen ausgetreten. Das sind 1,4 %. Im Vergleich zu 2021 und hochgerechnet auf 2023 verzeichnen wir keine großen Schwankungen.

 

Gab es schon eine Krisensitzung in Horb?

Klar reden wir reden in den Gremien darüber. Wir veröffentlichen die Zahlen auch immer wieder z.B. im Kirchenblatt. Wichtig ist Transparenz und nüchtern wahrnehmen, was ist.“

Krisensitzung” - das würde ja bedeuten, dass wir etwas dagegen tun könnten. Es geht nicht darum einen Plan zu machen. Auch wenn unser Bischof dazu aufruft “neue Ideen zu entwickeln und gegenzusteuern” (www.drs.de), dann wünsche ich mir, dass wir statt pastoralem Aktionismus vor Ort den vielbeschworenen Dialog ernst nehmen und dass die Anliegen der Ausgetretenen und der noch mit sich ringenden Mitgliedern auch in Rom und Rottenburg Gehör finden.

Ich glaube nicht, dass sich im bestehenden Kontext mit irgendeinem weiteren Angebot etwas ändern wird. Die Änderung vollzieht sich bereits: Die Glaubenden werden selbstständig, sie lassen sich nicht mehr irgendetwas “vorschreiben”, sondern entscheiden und geben mit dem Austritt öffentlich ihre Meinung kund.

 

Welche Gründe vermuten Sie dahinter? Sind es die Kirchensteuern, Verdruss, Missbrauchsskandale… Kehren auch speziell Frauen der katholischen Kirche den Rücken?

Entgegen einiger Aussagen in der Presse ist in den meisten Fällen der Austritt nicht gleichzeitig der Austritt aus dem christlichen Glauben. Diese Aussage fällt nicht vom Himmel, sondern ist belegbar. Seit Jahren fragen wir mit einem Rücklaufbogen die Ausgetretenen nach den Gründen ihres Austritts. Und nein, es sind nicht speziell Frauen, die austreten, es hält sich die Waage.

 

Spielt auch Corona eine Rolle, dass die Menschen bemerkt haben, dass sie auch ohne Kirche zurecht kommen?

Ja. Corona war wie eine Art Brennglas auf die Situation in der Kirche. Mehrere Gemeindemitglieder haben mich fast erschrocken über sich selbst dazu angesprochen, dass Ihnen Kirche nicht fehlt. Ich gehe noch weiter: Es gab vor einigen Jahren eine Studie bzgl. Erwartungen an Kirche und die Antwort der Befragten, was sie von Kirche erwarten war: Nichts.

 

Wie wirken sich die Austritte finanziell auf das Kirchenbudget in Horb aus?

Noch nicht. Im letzten Jahr gleiche Zuteilung. Zuteilung aus Anzahl der Mitglieder und der Steuerkraft.

 

Wie kann man dagegen steuern? Wie können die Menschen wieder erreicht werden?

Ich denke, dass es nicht um die Frage nach dem “Was”, sondern um die Frage nach dem “Wie” geht. Also nicht noch mehr andere, schnellere, bessere Angebote machen, sondern, das, was wir tun mit einer Haltung, dass andere spüren, dass es uns nicht um “Eintritte”, “Zahlen”, “Ehrenamtsengagement” geht, sondern immer um die Person selbst. Also im Sinne Jesu: Was willst Du, was ich Dir tue?

So wie es die katholische Mystikerin Madeleine Delbrêl formuliert: “Geht in euren Tag hinaus ohne vorgefasste Ideen, ohne Plan von Gott ... und wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist ... in der Armut eines banalen Lebens.”

 

Ist die katholische Kirche noch zeitgemäß? Was muss sich Ihrer Meinung nach in der katholischen Kirche ändern?

Die Faktoren Frau und Zölibat können es nicht sein, sonst würden bei den evangelischen Kirchen ja aus allen Nähten platzen. Ja, Kirche hat sich nicht so schnell entwickelt wie die Gesellschaft unserer Zeit. VUCA, Permanente Veränderung, Unsicherheiten, Komplexität, Verwundbarkeiten. Kirche muss auch nicht jede Veränderung mitmachen. Gottes Treue zum Menschen ist ein guter Gegenpol in einer VUCA-Welt. Aber Kirche hat es versäumt, das Zweite Vatikanum zur Umsetzung zur bringen. Wir leben immer noch in der Arroganz, dass wir die Wahrheit kennen würden und dass außerhalb der Kirche kein Heil sei. Das ist vorkonziliar - und längst überholt. Leider immer noch in den Haltungen vieler Glaubender vor Ort als auch in den oberen Reihen.

 

Wie schwierig ist es inzwischen, Ehrenamtliche für die Kirche zu begeistern?

Es geht nicht darum, Ehrenamtliche zu rekrutieren oder darum, die leeren Kirchenbänke wieder voll zu bekommen. Es geht vielmehr um das “Wie” und nicht um das “Was”. Denn es geht um jeden Einzelnen. Der oder die einzelne, die auf der Suche ist. Nicht wir bringen das Heil, sondern können nur dabei helfen, Gott zu entdecken. Andere etwas von der “Frohen Botschaft” spüren lassen. Hier ist Freude, hier ist Leben, hier ist Trost, hier ist Hoffnung, hier ist Segen ... hier ist Gott. Begeistern lässt sich niemand von Orten, an denen genörgelt und  schmutzige Wäsche gewaschen wird: Das ewige Gemeckere über das Fehlverhalten von Kirche, das Genörgele, dass kein Pfarrer in Horb ist und dass alles nicht mehr so ist wie vor 100 Jahren.

 

Bitte vervollständigen Sie den Satz: Ich bleibe in der katholischen Kirche weil…

Ich bin wieder (!) in der katholischen Kirche, weil ich der Meinung bin, dass ich mehr bewegen / anstoßen kann, wenn ich offizieller Teil dieser Kirche bin - trotz / wegen ihrer Unvollkommenheit. Wir lesen immer nur von den Skandalen, aber von dem, was Menschen erfüllt, dass Menschen neu zum Glauben kommen, einen Lebensweg für sich entdecken, das ist für Presse vermutlich zu langweilig und unspektakulär. Ich bin dankbar über ein gutes Netz von gleichgesinnten Kolleg*innen und ich kann Ihnen versichern, es gibt mehr Aktive, die mit Herzblut dabei sind als solche, die immer wieder für Skandale sorgen. Ich stehe dafür, dass in unserer Seelsorgeeinheit Raum ist, dass in aller Vielfalt, viele ihren je eigenen Glaubensweg finden können. Wir versuchen Raum für die Traditionellen geben, als auch denen, die am liebsten schon “Maria 4.0” umgesetzt wissen wollen. Ein offener Raum, ein weites Feld, um Gott im eigenen Leben zu entdecken.

 

*SWP: Die Fragen stellte Dagmar Stepper von der Südwestpresse. 

ST: Susanne Tepel 

 

zum Artikel online: https://www.neckar-chronik.de/Nachrichten/Horber-Pastoralreferentin-ueber-Kirchen-Austritte-Eine-logische-Konsequenz-594302.html